Diese Woche war grauenhaft! Ich und Julian sind gar nicht im Projekt klar gekommen. Das Projekt ist sehr chaotisch und das war es schon immer. Es war chaotisch bevor ich gekommen bin, als ich gekommen bin und es ist auch heute noch sehr chaotisch. Chaotisch bedeutet, dass der eigentliche festgelegte Tagesablauf meistens nicht richtig eingehalten wird. Damit meine ich zum Beispiel, dass die morgendliche Predigt nicht immer gemacht wird oder dass das Frühstück für die Kinder manchmal erst um 10 Uhr ausgeteilt wird, also zu einer Zeit in der der Unterricht eigentlich schon angefangen haben sollte. Im Prinzip fängt der Unterricht nie um 10 Uhr an, sondern immer erst 15min nach 10Uhr, weil der Raum zuerst noch 10min gefegt werden muss oder dem Kannada Lehrer erst kurz nach 10 einfällt das er die Predigt machen sollte oder einfach weil wir 10 bis 15min brauchen um die Kinder einzeln in den Klassensaal zu tragen, wenn die mal gerade beschließen das sie heute kein Bock auf Unterricht haben. Was auch immer wieder toll ist, ist wenn wir nach 40min laufweg pünktlich um 5 vor 10 im Projekt sind und jemand vom Projekt uns sagt „ja heute ist frei weil der Gott/ehemalige Führer XY heute Geburtstag hat“. Danach können wir dann gerade wieder 40min zurück laufen und um 10:40Uhr wieder zu Hause sein, wenn der Tag schon wieder halb vorbei ist :/. Wenn wir dann fragen, wieso man uns nicht vorher gesagt hat das wir Frei haben heißt es immer vom Direktor „Ja also in unserer Schule gibt es keine Feiertage. Also wenn ihr wollt könnt ihr Unterricht machen“ Wenn wir dann Unterricht machen wollen, sagt uns jeder außer dem Direktor das Frei ist und das wir ruhig gehen sollen weil heute sowieso keiner etwas macht. Einmal haben wir trotzdem mit den Kindern Unterricht gemacht. Die haben sich dann so stark geweigert, dass wir nach dem halben Tag den Unterricht abgebrochen haben. Wenn alle Fernsehen gucken wollen dann sollen sie doch….. Chaotisch wird’s auch immer dann, wenn wir ins Projekt kommen und uns dann mitgeteilt wird, dass mal wieder irgendein treffen stattfindet und wir deswegen alle Kinder im kleinen Motorrad/Klassenraum haben. Dann heißt es meistens das wir 1½h irgendwas mit denen machen und die nächsten 1½h der Kannada Lehrer irgendetwas macht. Naja und da alle 17 Kinder auf dem Boden in einem Raum der viel zu klein ist sitzen müssen und der Altersunterschied viel zu groß ist, sind sie so unruhig das Unterricht kaum möglich ist. Was den Unterricht dann zusätzlich erschwert, ist der mangelnde Respekt vor der Unterrichtsstunde an sich. Die Kinder stehen zum Teil auf laufen durch die Gegend, krabbeln unter den Tisch, dann rennen die Kinder von der anderen Klasse mal eben durch meinen Raum, als nächstes Kommt die Köchin und diskutiert erst einmal 5min welche zwei Schüler sie in die Küche zum helfen holt, dann kommt der Kannada Lehrer einfach mal in die Klasse und fängt an ein paar Minuten irgendetwas mit den Kindern zu diskutieren und wenn ich schon total erschöpft bin kommen zwei Schüler und fragen mich nach Stiften, Kreide und Büchern, weil der Kannada Lehrer mal wieder keine Materialien hat und das obwohl wir ihm 2 Tage vorher noch 2 Packungen neue Stifte gegeben haben. Und wir haben ihm schon 3000 mal gesagt, dass er ein bisschen besser auf seine Sachen aufpassen soll und das macht man in dem man die Materialien nach dem Unterricht zurückverlangt, aber ich weiß nicht ob er zu blöd ist oder einfach nur kein Bock hat. Auf jeden Fall kriegt er das nicht hin. Was ich auch sehr interessant finde ist, dass er oft einfach verschwindet und die Klasse unbeaufsichtigt zurücklässt. Oder besser gesagt, er beauftragt den Ältesten seine Arbeit zu machen.
Diese Woche war es besonders schlimm. Ich und Julian, wir waren sehr motiviert. Wir haben viel Unterricht vorbereitet mit Bildern von den neuen Zeichentrickfilmen die wir gesehen haben, wir haben uns gute Sätze mit Leseübungen ausgedacht und wir haben uns generell ein paar kleine neue Methoden für den Unterricht ausgedacht. Leider kam das bei den Kinder überhaupt nicht gut an. Das ist auch irgendwo verständlich, denn unser ich sage mal westlichen Unterrichtsmethoden sind halt auch ganz anders als die Methoden die man in Indien verwendet. An Indischen Schulen wird vor allem darauf Wert gelegt, dass die Schüler sehr gut das nachsagen können was der Lehrer Ihnen vorsagt und etwas von der Tafel abschreiben, wird immer sehr gerne gesehen. Das ist auch das was meine Kinder sehr gerne machen und wo sie uns immer wieder gerne zeigen wie gut sie doch sind, es ist bloß so das ich und Julian von diesem System rein gar nix halten. Wir sind der Meinung das von der Tafel abschreiben und dem Lehrer nachreden rein gar nix bringt! 0 Lerneffekt! Und ich persönlich fühle mich aufgrund der Erfolge in den letzten Monaten auch in meiner Meinung bestätigt. Die Meisten Kinder sind sehr viel besser als noch vor 4 Monaten. Der Grund wieso unsere Schüler unsere Methoden nicht gefallen ist meiner Meinung nach der, dass wir sie dazu bringen wollen nachzudenken und aufmerksam zu sein. Und das sind nun einmal Verhaltensweisen die ansträngend sind. Unser Unterricht ist anspruchsvoller, als der Unterricht den sie sonst gewohnt sind und wem gefällt es schon wenn etwas schwieriger wird. Ich meine ich kann das Nachvollziehen. Wenn sich die alltäglichen Umstände erschweren, dann rebelliert man dagegen. Also ich beschwer mich nicht wenn hin und wieder mal ein paar Schüler schlafen, aber ich kann es nicht akzeptieren wenn meine Schüler den Unterricht so stark verweigern, wie sie es diese Woche getan haben. Am Dienstag und am Mittwoch habe ich jeweils bestimmt 30min für eine Aufgabe verwendet, die man locker in 2min schaffen kann, vorausgesetzt es ist jeder ruhig und aufmerksam. Das sollte eigentlich auch das Ziel der Aufgabe sein, dass sie einfach mal 2 min aufmerksam sitzen und das ich danach ihre Aufmerksamkeit habe. Leider war das ein totaler Fehlschlag was mich danach wirklich enttäuscht und traurig gemacht hat. Am Donnerstag war mal wieder ein Treffen in der Schule und wir hatten alle Kinder im Motorradraum. Nachdem uns nach ca. 1h „Unterricht“ immer noch kein einziger meiner Schüler zugehört sah sich Julian gezwungen eine disziplinarische Maßnahme zu ergreifen. Er hat sie gezwungen eine halbe Stunde lang komplett leise zu sein. Nicht einmal flüstern hat er zugelassen. Und nach 30min hat er dann alle Kinder in die Ecke geschickt und jeden einzelnen Kritisiert. Ich meine es ist klar, dass die Kinder die einzelnen Kritiken nicht verstanden haben, aber wir haben eigentlich schon gedacht das die Schüler verstehen das etwas nicht stimmt und das wir wollen das sie leiser sind. Nachdem wir den Unterricht beendet haben, haben wir an der Versammlung teilgenommen. Der Ablauf der Versammlung war folgendermaßen. Zuerst einmal hat jeder Teilnehmer neue und qualitativ gute Notizbücher und Stifte bekommen. Ich muss für neue aber günstige Stifte und Bücher für die Kinder diskutieren :I während es für die Erwachsenen selbstverständlich ist. Als nächstes hat mein Direktor eine 10min Rede gehalten. Danach hat jemand anderes eine 10min Rede gehalten. Danach wieder mein Direktor, danach wieder jemand anderes……. Das ganze ging noch ca. 1h so weiter. Also ich habe nix von dem Verstanden was besprochen wurde, weil ich kein Kannada verstehe und ich glaube jetzt auch einfach mal das alles schon irgendwo Sinnvoll war was gesagt wurde, aber ich glaube eine Diskussion wäre doch Effektiver, dann kann man auch richtig auf die Themen eingehen die Besprochen werden. Richtig sauer war ich dann aber als ich festgestellt habe, dass der Direktor für unsere Gäste brandneue und gute Matratzen mit Bettdecken und allem was man so zum Schlafen braucht besorgt hat, Während meine Kinder immer noch ohne Matratze auf dem Boden schlafen müssen. Der Direktor meinte dazu, dass die Kinder ja von den Wäldern kommen und das sie dort auch ohne Matratze und Kissen und sowas auf dem Boden bzw. auf den Bäumen schlafen. Ich meine das kann ja gut sein, aber ich verstehe trotzdem nicht wo das Problem darin liegt ihnen Matratzen zu geben. Also ich glaube die Kinder würden Matratzen bevorzugen, aber das scheint ja im Projekt keinen zu interessieren.
Freitag haben ich und Julian schon eine kleine Reaktion von den Kindern erwartet, schließlich haben wir sie am Tag bevor doch sehr speziell behandelt. Leider hat der Vortrag von Julian keinen Effekt gezeigt. Also haben wir uns am Freitag gesagt „ Ok wenn sie den Unterricht verweigern können, dann können wir das auch“. Also haben wir den Tag über einfach mal gar nix gemacht und uns Unterhalten. Das war der beste Tag der Woche. Das Interessante war, war das die Kinder nach einer halben Stunde Selbstbeschäftigung nach Unterricht gefragt haben. Ein wenig später hat dann der älteste gemerkt das was getan werden muss, also hat er die Klasse das Alphabet, die Wochentage und die Monate aufsagen lassen. Danach hat er schön Fleißig das Alphabet an die Tafel geschrieben den dann die Klasse abgeschrieben hat.
Seit dieser Woche mache ich mir viele Gedanken. Wieso bin ich eigentlich hier? Was kann ich noch in Indien lernen? Ich habe nicht das Gefühl das ich noch sehr viel hier lernen kann. Was ist meine Aufgabe im Projekt? Geht es wirklich um Englischunterricht? Ich meine ich habe das Gefühl, dass es wirklich keinen interessiert ob die Kinder Bildung bekommen oder nicht. Es interessiert nicht die Erwachsenen und die Kinder haben zeigen praktisch keine Motivation irgendetwas neues zu lernen. Vielleicht geht es einfach nur darum, dass die Freiwilligen Zeit mit den Kindern verbringen und ein bisschen mit Ihnen spielen. So wie ich das gehört habe, kommen die Kinder aus sehr armen Familien und sind zum Teil sogar weisen. Also ist das meine Hauptaufgabe für die nächsten 7 Monate? Mit den Kindern spielen und einfach Zeit mit Ihnen verbringen? Ich weiß es nicht. Der Gedanke gefällt mir nicht. Ich würde nach 7 Monaten lieber auf das Projekt zurückschauen und sehen, dass es ein angemessenes System gibt in dem besonders stark darauf Wert gelegt wird das die Kinder Bildung bekommen und das es Ihnen an nichts mangelt. Aber vielleicht sind meine Ansprüche auch einfach zu hoch. Ich habe das Gefühl, je mehr ich mich bemühe umso stärker versuchen mir alle indirekt zu sagen, dass ich mich wieder beruhigen soll.
Naja wer weiß vielleicht sehe ich im Moment auch nur alles schlecht, weil ich im Moment starkes Heimweh habe und Tischtennis spielen, Fußball gucken, Europäisch essen, Zeit mit meinen Freunden und meiner Familie verbringen möchte und ich gerade auch einfach absolut genug von Indien habe. Ich vermisse sogar die Kälte. Wieso ist es nicht kalt? Wir haben Dezember und ich schwitze immer noch. Ich will Momentan wirklich nach Hause und Indien hinter mich lassen. Ich glaube 1 Jahr ist doch zu viel. 6 Monate wären total ok. Ich meine 6 Monate reichen wahrscheinlich nicht um das System in Indien zu verstehen und um zu verstehen wieso die Menschen so reagieren, wie sie reagieren. Aber vielleicht reicht da 1 Jahr auch nicht. Vielleicht bin ich auch einfach noch zu jung und unerfahren um das System zu verstehen. Anna hat auch viele Dinge kritisiert, die in meinen Augen total ok schienen, bis sie mir dann erklärt hat wieso sie nicht ok sind und sie nicht unrecht hatte. Ich hoffe das ich viel von dem was ich hier erlebe und sehe aber nicht verstehe mit nach Hause nehme und dann im Laufe der Zeit verstehen werde wieso und warum etwas so gemacht wurde. Naja ich habe natürlich über abbrechen nachgedacht, besonders jetzt da ich schon wieder Magenprobleme habe und Indien auch in anderen Dingen wirklich nicht gut für meine Gesundheit ist, aber Abbrechen bedeutet auch Aufgeben und Aufgeben gibt es in meinem Wortschatz eigentlich gar nicht. 1 Jahr Indien ist eine harte Aufgabe die ich mir selbst gegeben habe und ich habe nicht vor zu scheitern, auch wenn es manchmal ganz schön schwer ist!!!!
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