Wie in „Teil 1“ schon angedeutet, sind es vor allem die kulturellen Unterschiede die das Leben in Indien schwierig, aber auch interessant machen. So ungefähr sieht der Alltag des Durchschnittsinders in Hunsur aus. Morgens um 5:30 Uhr aufstehen und von ca. 6 bis 7 Uhr Sport machen. Das kann Yoga, Kricket, Fitness Studio, Tennis, Badminton, Joggen oder Fußball sein. Um 7 Uhr wird dann zuerst geduscht und danach wird die „Pooja“ für den Gott der Familie oder einen anderen Gott gemacht. Die sogenannte Pooja ist eine religiöse Zeremonie die zum Ehren der Götter gemacht wird um ihnen zu zeigen das man sie respektiert und um ihnen für das was man bekommt zu danken. Im Prinzip derselbe Kerngedanke wie im Christentum nur das die Vorgehensweise anders ist.
Die Pooja läuft in etwa so ab: Jede hinduistische Familie hat entweder einen kleinen Tempelraum im Haus oder einen bestimmten Platz wo sie ihre persönlichen wichtigsten Götterstatuen oder Gemälden hinstellen. Dieser Platz wird immer besonders sauber gehalten, er muss immer seine Ordnung haben und es wird sich immer darum gekümmert, das der Platz mit frische Blumenblühten geschmückt ist. Während der Pooja werden braune Kokosnüsse und kleine Bananen auf den Platz gelegt. Die Kokosnüsse werden geöffnet und die Götter werden mit dem Kokosnusssaft bespritzt, weil der Saft von der braunen Kokosnuss heilig ist. Danach werden ein paar Räucherstäbchen angezündet und es werden mit ihnen drei Kreise gegen den Uhrzeigersinn gedreht. Dabei werden die Räucherstäbchen mit dem rechten Arm gehalten und der linke Arm sollte immer den rechten Arm berühren. Wenn man möchte kann man sich danach noch selbst drei Mal gegen den Uhrzeigersinn drehen. Davor und/oder sagen oder singen einige noch ein Gebet zu Ehren des Gottes. Ihr merkt vielleicht schon, es gibt keine festgeschriebene Art und Weise wie eine Pooja auszusehen hat. Wirklich wichtig sind nur die Räucherstäbchen und wie man sie benutzt. Wie die Pooja aussieht hängt von den Personen ab und ich glaube auch das es von dem Gott abhängt für den man gerade die Pooja macht und natürlich auch den Anlass der Pooja.
Naja auf jeden Fall wird so zwischen 7 und 8 die Pooja gemacht. Danach, so ungefähr um 7:30 gibt es zuerst einmal einen Tschai. Um 8 Uhr gibt es dann Frühstück. Um 8:30 Uhr gibt es dann den Tschai nach dem Frühstück. Joa und so um 8:45 Uhr sollte man sich dann langsam aber sicher auf den Weg zur Arbeit machen. Die meisten Leute machen ihre Geschäfte so um 9 Uhr auf. Geschlossen wird dann meistens wieder um 9 Uhr Abends. Also sehr sehr viele Inder haben ihre eigenen kleinen Geschäfte und Stände. Das hängt dann von jedem selbst ab, von wann bis wann er arbeiten möchte. Mein alter Gastvater ist täglich um ca. 9Uhr gegangen und so gegen 8 Uhr wieder gekommen. Dann man auch sagen, dass sich 12 Stunden glaube ich länger anhört als es ist. Das Arbeitsklima ist meistens sehr entspannt und oft auch einfach zu entspannt, besonders wenn es darauf ankommt an einem bestimmten Tag mit der Arbeit fertig zu sein. Viele haben ihren eigenen kleinen Fernseher bei sich im Laden, es eher selten so viel Kundschaft auf einmal das es stressig wird und es macht auf mich den Eindruck, als wären irgendwie alle miteinander befreundet. Also die Ladenbesitzer kennen sich untereinander kommen sich ab und zu besuchen. Mittagessenzeit ist zwischen 1 und 3 Uhr (Wie auch bei mir in der Schule) und zwischen 4 und 6 Uhr sollte man sich so 5-10min Zeit für Tschai nehmen. Dann ist „Tea Time“ :D. Der Arbeitstag ist dann so gegen 9 Uhr zu Ende und zu Hause gibt es dann Abendessen. Während und nach dem Abendessen läuft dann noch bis ca. 11Uhr der Fernseher und dann ist aber Nachtruhe.
Das war jetzt so ungefähr der normale Tag des Familienvaters. Die Mutter steht auch schon um ca. 5:30Uhr auf um das Frühstück zuzubereiten und andere Vorbereitungen für die Pooja und andere religiöse Rituale zu erledigen. Das heißt zum Beispiel die frischen Blumenblühten, die Kokosnuss und die kleinen Bananen zu kaufen, oder einfach nur alles sauber machen. Nach dem Frühstück wird sich dann um den Haushalt gekümmert. Das heißt alles super machen, Zutaten für das Essen kaufen oder einfach bestimmte Gegenstände für Poojas besorgen. Das Frauen einen Beruf haben, oder ein Geschäften arbeiten sieht man sehr selten. Man sieht generell viel mehr Männer auf der Straße als Frauen und man sieht auch sehr selten Frauen Autofahren. Das Männer Frauen Bild ist noch sehr traditionell. Das gilt aber nicht in den Großstädten wie Bangalore. Naja und nach dem Abendessen wird dann noch mit der Familie Fernsehen geschaut. Es wird zu Hause eigentlich generell immer Fernsehen geschaut. Ich wurde noch nie zu einer Familie eingeladen, bei der nicht immer zuerst der Fernseher eingeschaltet wurde. Erstaunlicherweise, ist der Fernseher auch ein riesen Statussymbol. Ich habe schon ein paar Mal gesehen, dass der Wohnraum und der Wert der Möbel einer Familie eher klein ist, aber der Fernseher dafür ganz schön groß und teuer ist. Zum Teil bestimmt viel teurer als der Fernseher bei mir zu Hause in Deutschland.
Fazit: In Indien ist Religion sehr wichtig. Das Arbeitsklima darf nicht zu stressig sein, also man muss sich schon Zeit nehmen können um mit Freunden zu reden oder einen Tschai zu trinken. Wenn man von jemanden zu irgendetwas eingeladen wird und man sagt, dass man keine Zeit dafür hat, dann wird das eigentlich nicht so gerne gesehen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass man normalerweise wirklich Zeit hat und „Ich habe keine Zeit“ bedeutet „Ich habe keine Lust“. Was für die meisten Inder noch sehr wichtig ist, ist das einfach gewisse Dinge zu einer gewissen Zeit gemacht werden müssen. Kontinuität ist wichtig. Mittagessenzeit ist halt von 1 bis 3 und dementsprechend sind die Restaurants in dieser Zeit super voll und außerhalb dieser Zeit sieht man meistens mehr Kellner im Restaurant als Kunden. Genauso wichtig ist auch dieTschaipause am späten Nachmittag. Ein Beispiel: Mein Internetcafe macht um 17:30 Uhr zu. Der Bus der die zwei Besitzer nach Hause bringt fährt um kurz nach 18Uhr. Naja letztes Mal als ich da war haben sie wegen mir ein bisschen später zu gemacht so um 17:45. Kein Grund zur Sorge dachte ich mir. Man kommt ohne Probleme zur Haltestelle in 15min. Aber die zwei mussten mit mir unbedingt noch einen Tee trinken gehen. Wir sind dann also ganz schnell zum nächsten Tschai Platz gegangen, dann haben wir schnell einen Tee getrunken und die zwei sind dann schnell zum Bus gegangen :).
Und das letzte was mir gerade einfällt und noch super wichtig ist, ist das Essen. In Indien wird unheimlich viel Essen produziert und günstig verkauft, deshalb kann man auch locker für weniger als 1€ Essen gehen. Ein guter Inder isst immer möglichst viel und ein kleiner Bauch ist immer gerne gesehen. Leute die wichtige Positionen einnehmen haben normalerweise auch einen guten dicken Bauch. (Gott Ganesha hat schließlich auch einen Bauch) Ich würde sagen ein Symbol dafür, wie wichtig das Essen in Indien ist, ist die Begrüßung. Man wird meistens nicht mit „Guten Tag“ oder „Wie geht es dir?“ Begrüßt, sondern mit „Hast du schon gefrühstückt? Mittaggegessen? Hattest du schon deinen Tschai?“ Ich weiß noch einmal wurde ich um 17Uhr von meinem Christlichen Freund angerufen und er fragte mich so „ Hattest du schon deinen Tee? – Ja ja natürlich. – Ah ok gut. Wo? – Ja da in der Nähe vom Internetcafé. – Ah ok den kenne ich. War der Tee gut? – Ja mir hat er gefallen, ich gehe da gerne hin. – Ah ok gut. Ok dann Tschüss ja. – Ja gut Tschüss, wir sehen uns.“ Ende der Konversation :). Ich bekomme auch regelmäßig SMS von Leuten die mich immer wieder fragen „Hast du schon Gefrühstückt? Mittaggegessen? Tee getrunken?“. Also ist Essen ein riesen Thema in Indien.
So und was ist jetzt das schwierige daran? Also ich fange mal mit dem Thema Sport an. Wie schon gesagt machen die meisten Inder so ca. von 6 bis 7 Uhr Sport. Ich persönlich finde es ja schon relativ schwer um 8 Uhr aufzustehen und deshalb habe ich es bis jetzt noch nicht geschafft regelmäßig morgens Yoga zu machen oder Fußball zu spielen. Also was mache ich, ich gehe nachmittags so gegen 17Uhr Joggen und das ist für die Inder absolut verwirrend und unbegreiflich. Ich werde bei jedem Mal Joggen angestarrt und ausgelacht. Dann versuchen mich immer wieder Leute anzuhalten um mich nach meinem Namen und meiner Herkunft zu fragen. Einmal hat dieser Motorradfahrer meinen Weg gekreuzt um mir zu erklären, dass nachmittags Joggen sinnlos ist. Er hat gemeint das morgens die Beste Zeit ist und nachmittags verschwendete Energie ist weil nachmittags irgendwelche Chakras gesperrt sind oder sowas und deswegen hat es keinen Effekt nachmittags zu Joggen. Naja auf jeden Fall verstehen es die Inder nicht und so macht dann joggen direkt viel weniger Spaß :(.
Nächstes kulturelles Problem. Es kommt öfter mal vor, dass Leute mich ansprechen und meinen: „Ah Ausländer, du bist ein Christ! Ich bin Hindu kennst du das? Wir haben sooo viele Götter, es gibt Ganesha, Shiva, Vishnu, Brahma, Chamundi etc…… Mein Gott ist Ganesha!! Deine Religion hat nur einen Gott Jesus, ich kenne Jesus. Wie war heute die Kirche? Gehst du jeden Tag in die Kirche? Wir haben zwei sehr gute Kirchen in Hunsur. In Welche gehst du? Wie viele Jesus Bilder hast du zu Hause? Ich habe eine große Ganesha Statur mit der ich Pooja mache. Wann machst du immer Pooja?“ – „Also erstens, ich kenne mich schon ein bisschen aus mit der hinduistischen Religion, zweitens nicht jeder Ausländer ist ein Christ und drittens bin ich nicht religiös. Ich habe keine Religion. „ Und mein Gesprächspartner ist dann immer ganz geschockt und scheint nicht zu verstehen, dass man keine Religion haben kann. Ich habe dann immer das Gefühl das sie diese Antwort zum ersten Mal hören. Auf jeden Fall bekomme ich dann immer zu hören „Was? Keine Religion? Jeder hat eine Religion? Wieso gehst du nicht zu Kirche? Wieso machst du keine Pooja für Jesus? Gehe zur Kirche und mache Pooja!!
Ein weiteres Problem ist die erwähnte entspannte Arbeitsatmosphäre. Seitdem ich in Indien bin, merke ich erst wie gehetzt mein Leben in Deutschland ist und mir wird hier auf eine andere Art und Weise bewusst unter was für einen Leistungsdruck wir in Deutschland eigentlich stehen. Nehmen wir das Beispiel Schule. Als ich damals in der Oberstufe mal 3min zu spät gekommen bin haben mich manche Lehrer angemotzt: „Wieso bist du 3min zu spät? Der Unterricht hat schon vor 3min angefangen!!“. In meiner Schule hätte der Unterricht schon vor 10min anfangen sollen und meine Kinder kommen so langsam aber sicher in den Klassensaal. Und das unglaubliche ist, dass es einfach jedem Scheiß egal ist. Im Gegenteil, einmal hat Julian die Kinder sehr streng aber pünktlich in den Klassensaal gebracht und der Kannada Lehrer meint nur zu mir halb Kopfschüttelnd: „Unglaublich, bei Julian muss immer alles pünktlich und perfekt sein“ Und ich sage ihm „Ja so müsste es eigentlich auch sein!“ Er hat mich komisch angeschaut und hat es offensichtlich nicht verstanden. Er hat auch nicht ganz unrecht! In Indien ist 10 – 30min zu spät gar nix! Wieso also den Kindern Pünktlichkeit beibringen? Andererseits ist Pünktlichkeit wichtig für effektives Arbeiten so wie ich es kenne, aber in Indien wird eigentlich kaum effektives Arbeiten so wie ich es kenne ausgeübt. Also ich bin da Momentan am ringen wie viel Wert ich auf Pünktlichkeit legen soll.
Aber ich denke das schwierigste kulturell bedingte Problem, ist einfach die Tatsache das die meisten Inder nicht wissen wie sie mit Ausländern umzugehen haben. Da wäre vor allem das Problem, dass es Prestigereich ist wenn man mit einem Ausländer befreundet ist. Wenn ich mich zum Beispiel in das Auto von meinem Kollegen aus dem Fitnessstudio setzte, dann fahren wir als erstes Mal durch ganz Hunsur, weil er alle seine Freunde besuchen will und zeigen will das ich bei ihm im Auto sitze. Wenn ich mit meinem persönlichen Kannada Lehrer auf der Straße bin, dann stellt er mich auch immer als seinen Ausländerfreund vor, dem er Kannada beibringt und dann hat er wieder an Status gewonnen. Naja und gerade wegen dieser Status Geschichte wollen alle unbedingt mit den Ausländern befreundet sein. Einmal hat mich einer 30-40min angefleht zu ihm nach Hause zu gehen, damit er mich seinen Eltern vorstellen kann! Und einmal hat mich einer versucht mit seinem frisierten Sportwagen zu beeindrucken und die Situation sah wirklich klischeehaft genau so aus, als ob ein Macho eine attraktive Frau beeindrucken will, auch wenn sich das jetzt komisch anhört. Ich habe in den letzten Wochen darauf geachtet und ich konnte nicht einen einzigen Tag ganz friedlich zur Schule gehen, ohne das mir irgendjemand die Handschütteln wollte oder mich gefragt habe wie ich heiße oder von welchem Land ich komme und richtig sauer werde ich dann wenn offensichtlich ganz normale und normalverdienende Menschen auf mich zukommen und sagen „Bitte Bitte gib mir 10Rs. Bitte Bitte 10Rs. Nur 10Rs. Ey komm zurück! Ich will doch nur 10Rs. Das ist doch nix für dich ich frag dich doch nicht nach 1.000“ Einige Menschen sind echt so dreiste Arschlöcher. Ich vermute das es daran liegt, dass die Inder durch das Fernsehen immer diese krass reichen Gegenden in den westlichen Ländern gezeigt bekommen und unbedingt ein Teil davon sein wollen. Tja und da es sehr wenige Ausländer in Hunsur gibt drehen die Leute immer total durch wenn sie einen sehen weil sie es einfach nicht so gewöhnt sind wie ich in Deutschland. Aber wieso man jetzt so ausrasten muss wie es einige tun verstehe ich einfach nicht. Und bei der Sache mit dem Geld denken viele wahrscheinlich das ich mir als super reicher Weißer überhaupt keine Gedanken um Geld machen müsste und deshalb muss ich ja nicht alles für mich behalten sondern kann ruhig was abgeben. Gut ich meine die meisten Inder haben wahrscheinlich überhaupt keine Ahnung wie das Leben in den westlichen Staaten ist, aber muss man dann wirklich beleidigt sein wenn ein Ausländer keine 10Rs verschenkt?!!?
Fazit: Nach 6 Monaten in Indien habe ich festgestellt, dass es unheimlich viele kulturelle Unterschiede zwischen den Indern und den Menschen der westlichen Welt gibt und diese Unterschiede führen zu vielen Missverständnissen und machen das Leben in Indien wirklich ansträngend. Es ist praktisch gar nicht die Wohlstandsunterschiede, sondern Hauptsächlich die Kultur.
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